Geschichte zum Gedenkstein MTV Spieß 1883

Gedenkstein des MTV Spieß Altglienicke wieder in neuem Glanz


Dezember 2011
Vor einem Jahr entstand im Rahmen des Altglienicker Bürgervereins die Idee einen historischen Findling zu restaurieren, der lange Zeit ein Schattendasein auf dem Gelände der Pfarrkirche an der Semmelweisstraße führte und dessen Inschrift kaum noch lesbar war. Der Feldstein wurde am 8. Juli 1922 auf dem damaligen Sportplatz Bohnsdorfer Weg Ecke Salierstraße aufgestellt. Der vier Jahre zurückliegende 1. Weltkrieg war noch in frischer Erinnerung. Vielerorts in ganz Deutschland entstanden in Dörfern und Gemeinden schlichte wie pompöse Denkmäler, die unzählige, meist recht junge Kriegsopfer in Erinnerung riefen. Viele unter ihnen waren in der Ferne gefallen und wurden so auch an jenen blutigen Stätten auf meist großen Soldatenfriedhöfen bestattet. So boten die Gedenkstätten auch für die verbliebenen Angehörigen vor Ort eine Stätte zum Trauern. Der Altglienicker Stein gehört zu jenen der unnötigen Pathos mit Heldenverklärung vermeidet, nicht prunkvoll, sondern schlicht daher kommt, ohne Symbolik oder verklärende Formulierungen an die zurückliegende Kaiser-Zeit, wie sie vielfach sonst in den jungen Jahren der Weimarer Republik auftrat.

Aufgestellt wurde er vom Männer-Turnverein (MTV) Spieß 1883 Altglienicke an jener Stelle, wo sie ihren Sport von Turnen bis Handball nachgingen. Es war der bürgerliche Sportverein in Altglienicke gegenüber dem von Arbeitern dominierten Altglienicker Ballspiel-Club (AGBC) 1906. Eine lange Zeit war dem auf einem Feldsteinsockel ruhenden Denkmal an seinem Ursprungsstandort nicht beschieden. Schon acht Jahre später erwarb die Gärtnerei Rosenberg das Gelände, die einen Blumenladen Köpenicker Ecke Grünauer Straße betrieb. Übrigens einen Blumenladen, der in nach 1945 wechselnder Inhaberschaft bis Mitte 2011 fortlaufend bestand. Nun steht er leer. Der Sportplatz musste 1930 umziehen, zunächst auf eine Freifläche am Ende der Friedrichstraße (Semmelweisstraße), Ecke heutiger Wegedornstraße. Der Gedenkstein wurde jedoch nicht dorthin umgesetzt, sondern bekam eine Lösung die mehr Dauerhaftigkeit versprach: Die Kirchenfläche an der Semmelweisstraße zwischen Pfarrkirche und einstigem Kino „Corso“. Auf wessen Initiative der Ort gewählt wurde ist noch unbekannt, allerdings ist seit kurzem anhand einer Zeitzeugin bekannt, dass er gleich 1930 dort hin kam, ohne Zwischenstation, und zur Wiedereinweihung eine Blaskapelle spielte, mit dem Auftaktlied. „Flamme empor“.

Dabei erhielt er anstatt des Feldsteinsockels einen rot-braun geklinkerten, der an sich gar nicht so zum Granit darüber passt. Sämtliche acht Namen, die auf dem Gedenkstein des MTV Spieß als gefallene Turnbrüder verewigt sind, finden sich auch in der Pfarrkirche selber, waren demnach zugleich Mitglieder der evangelischen Kirchengemeinde. Kurz vor dem Altarbereich hängen rechts an der Seitenempore fünf Tafeln nebeneinander, mittig darunter ein Gemälde mit Preußenadler (das zur DDR-Zeit durch eine Platte verdeckt war), die allen im ersten Weltkrieg gefallenen Gemeindemitgliedern gewidmet ist, an der Zahl 153 (!) Personen.

Traditionsfahne des MTV Spieß
Traditionsfahne des MTV Spieß
Eine Einladung des Turnvereins (gespendet von R. Scheit) Glienicke, 21.Oktober (18)88 Der Turn-Verein Spieß zu Alt u. Neu-Glienicke, erlaubt sich Euer Wohl- geboren nebst Dame zu dem am 27. Oktober Abends 8 Uhr stattfindenen Rekruten Abschieds Ball im R.
Eine Einladung des Turnvereins (gespendet von R. Scheit) Glienicke, 21.Oktober (18)88 Der Turn-Verein Spieß zu Alt u. Neu-Glienicke, erlaubt sich Euer Wohl- geboren nebst Dame zu dem am 27. Oktober Abends 8 Uhr stattfindenen Rekruten Abschieds Ball im R.

Das war damals jeder 15. Altglienicker männlichen Geschlechts, der durch Kriegseinwirkung ums Leben kam. Dem 1. Weltkrieg folgte der von den Nationalsozialisten geführte 2. Weltkrieg mit Opferzahlen, die kaum noch auf eine Tafel passen sollten, dazu unzählige die durch das Regime umgebracht wurden. Am Ende des Krieges verboten im Mai 1945 die Alliierten in Deutschland zunächst einmal alle bürgerlichen Vereine. Erst Monate später wurden per Lizenzierungsverfahren wieder Sportvereine zugelassen. Der MTV Spieß 1883 wurde im nun unter sowjetischer Militärverwaltung stehenden Altglienicke nicht wieder gegründet. Die erst Juli1933 anlässlich des 50. Vereinsjubiläums an dem Gedenkstein mit Kirchenchor und Pfarrer geweihte und den Krieg überstehende neue Vereinsfahne wurde über die nachfolgenden Jahrzehnte in der DDR versteckt, ist heute in Verwahrung der VSG Altglienicke als Nachfolgeverein. Denn in den Nachkriegsjahren schlossen sich die früheren Sportler des MTV Spieß und des Altglienicker BC dem neu gegründeten Altglienicker Sportverein (ASV) an, der sich 1952 in Volkssport-Gemeinschaft (VSG) umbenennen musste.
Die Idee des Altglienicker Bürgervereins 2011 den Gedenkstein des MTV Spieß zu restaurieren ging in der Intention ein Denkmal Altglienicker Sportgeschichte wiederherzustellen. Als fachkundige Kraft wurde hierzu der Altglienicker Steinmetz Ralf Schmidt gewonnen. Im wesentlichem sollte das Projekt durch Spendenmittel geschehen, die ab der 20-Jahr-Feier des Bürgervereins im März 2011 eingeworben wurden. Ziel war es bis zum 90-jährigen Jubiläums im Juli 2012 fertigzustellen, bis die Überlegung kam, diesen im Rahmen des 2. Adventsmarkts am 4. Dezember schon einzuweihen. Um das zu schaffen mit rund 1.500 Euro hat neben vielen kleinen Spendern die VSG Altglienicke als Nachfolgeverein einen ordentlichen Betrag sowie den größten Teil der noch offenen Summe der Bürgerverein Altglienicke aus eigenen Mitteln beigesteuert. Hilfreich war in jedem Fall zudem der Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung Sondermittel in Höhe von fast 400 Euro zu gewähren. Bei der Rekonstruktion wurden sogar Wörter wieder gefunden, die gar nicht mehr zu sehen waren wie die „Turnbrüder“.

 


Pünktlich zum Adventsmarkt wurde alles abgeschlossen, der Stein eingehüllt. Zur feierlichen Einweihung kamen recht viele, so u.a. Bezirksbürgermeister Oliver Igel (SPD), die Mitglieder des Abgeordnetenhauses Ellen Haußdörfer (SPD) und Katrin Vogel (CDU), Kultur- und Sportstadtrat Svend Simdorn (CDU), der stellvertretende BVV-Vorsteher Wolfgang Knack (CDU) und viele Bezirksverordnete. Die VSG Altglienicke kam mit einer Abordnung und der fast 80 Jahre alten Traditionsfahne des MTV Spieß. Es waren mit Möwius und Reschke sogar zwei Altglienicker anwesend, die einen familiären Bezug zu welchen die auf dem Stein stehen hatten als deren Urgroßonkel. Leider spielte nur das Wetter nicht mit. Just mit den Grußworten des Bürgermeisters setzte ein starker Sturm und Regen ein, so dass der Vorsitzende des Bürgervereins Joachim Schmidt nur noch kurz zum Reden kam, der 2. Vorsitzende der VSG Rino Moch gar nicht mehr. Er wurde nur noch schnell enthüllt.


Ein wenig erinnerte ja das Unwetter an die Schlussszene des Films „Der Untertan“, als bei der Enthüllung eines Kaiserdenkmals alle Ordnung sich unter Sturmregen auflöste.
Danach wurde das Wetter zum Glück wieder normal. Und man konnte dann wieder den Stein in Augenschein nehmen mit der Aufschrift:


„Dem Gedächtnis / unserer im Weltkriege 1914 – 1918 / gefallenen Turnbrüder/
Gustav Reinicke gef. 05.11.1914 / Arnold Möwius verm. 09.03.1915 / Walter Hellmann gef. 14.08.1915 / Gustav Nikolaus gef. 25.10.1916 / Erich Reschke gef. 21.04.1917 / Paul Haschke gef. 20.09.1917 / Max Körper gef. 22.03.1918 / Paul Gieseler gef. 30.07.1918 /
Ehre Ihrem Andenken! / M.T.V. Spiess / Alt Glienicke / 09.07.1922“

Gut Heil! Turner-Grüße aus Alt-Glienicke Erinnerung an das 16te Stiftungsfest des MännerTurn-Vereins Spieß 25. Juni 1890
Gut Heil! Turner-Grüße aus Alt-Glienicke Erinnerung an das 16te Stiftungsfest des MännerTurn-Vereins Spieß 25. Juni 1890

Wieder konnte ein Projekt des Bürgervereins zum Abschluss gebracht werden. Allen ein Dank die daran mitgeholfen haben. In Überlegung ist noch, was in der Zeit nicht zu schaffen war, ein Ausstellungsprojekt zu dem Verein und seine über 60-jährige Geschichte zu machen sowie was über die einzelnen Personen auf dem Stein herauszufinden war.
Joachim Schmidt
(Der Text wurde uns von der Zeitung der Dörferblick zur Verfügung gestellt. Vielen Dank an Joachim Schmidt)