Elfenbeinbleiche - "Die Dickin-Werke"

In Altglienicke an der Salierstraße stand mal eine Elfenbeinbleiche.
"Die Dickin-Werke"
Herr Hill wohnte damals in der Cimbernstraße und weiss einiges über die Dickin-Werke und der ehemaligen Gärtnerei Knig zu erzählen.
Mein Vater Wilhelm Hill hatte häufig Kontakt zu den Russen, welche ihn, den aus politischen Gründen inhaftierten, bei Kriegsende aus dem Zuchthaus Brandenburg befreit hatten. Man übertrug ihm die Leitung der Dickin-Werken in Alt-Glienicke. Dort wurde so ziemlich alles hergestellt was der Markt verlangte und wozu man als chemischer Betrieb damals fähig, bzw. in der Lage war. Oberchemiker wurde mein Onkel Kurt Kersten, dem jüngeren Stiefbruder meiner Mutter. Schuhpolitur, Aromen und Essenzen wurden vorwiegend produziert, aber auch - und dafür waren die Russen die besten Kunden - Schnaps.
Auf Grund gekonnter Aromaherstellung war man in der glücklichen Situation, bei identischen Grundstoffen, eine ganze Palette unterschiedlichster Geschmacksrichtungen anzubieten. So konnte auch stets schnell und problemlos dem momentanen Geschmack und Wunsch des Genossen Major entsprochen werden.

Gedenksteinsetzung auf dem MTV-Sportplatz am Bohnsdorfer Weg
Gedenksteinsetzung auf dem MTV-Sportplatz am Bohnsdorfer Weg
Cimbernstraße Ecke Nomannenstraße 1933
Cimbernstraße Ecke Nomannenstraße 1933

Verkaufsgespräche solcher Art gingen meistens bis spät in die Nacht. Es waren eigentlich eher furchtbare Trinkgelage bevor der Major und seine Begleitung die Entscheidung über Geschmack und Menge bekannt gaben. Mein Vater und Bruno, der Vater bei diesen Anlässen tapfer zur Seite stand, brauchten dann oft zwei Tage, bis sie sich von diesen Saufstrapazen wieder erholt hatten. Vor uns Kindern hieß das dann "sie haben die Grippe".
Wilhelm 'Leo' Hill war ein allseits sehr beliebter Chef. Und diese Sympathie bertrug sich auch auf mich, seinen Sohn, denn alle Mitarbeiter waren sehr freundlich zu mir und wenn an einem meiner Spielzeuge etwas kaputt ging, war man in der Schlosserei schnell bereit zu reparieren.
Auch nach vielen Jahren sprachen ehemalige Mitarbeiter von der Holzaktion, die mein Vater organisiert hatte. Jeder Mitarbeiter sollte mit einer ausreichenden Menge Brennholz versorgt werden, um den kommenden Winter gut zu überstehen. Zwei von Holzgasometern angetriebene LKW's wurden dafür beschafft, um das Holz aus der Umgebung Berlins heran zu schaffen. Sie kommen, sie kommen!" Ein Radfahrer bog aufgeregt auf den Hof hinter dem Fabrikgebäude und meldete den dort wartenden Arbeitern die Ankunft des Holztransports. Auch ich durfte dabei sein. Von der Last des hoch aufgetürmten Holzes ächzend und schaukelnd erreichten die beiden Fahrzeuge ihr Ziel. Sie waren so schwer beladen, dass sie sich mit den Hinterrädern im Sandboden fest fuhren und einer sogar drohte umzukippen. In größter Eile erfolgte die Entladung, nur diffus von einer Lampe beleuchtet schufteten die Männer und sogar Frauen halfen mit. Das hatten sie in den vergangenen Kriegsjahren lernen müssen. Es war inzwischen später Abend geworden, als zwei riesige Holzberge auf dem Hof lagen. Am nächsten Tag würde man es aufteilen. Jetzt aber gingen alle, müde und erschöpft, nach Hause.

Abrissarbeiten an der umgebauten Werkhalle des VEB Stahl- und Leichtbau, früher Elfenbeinbleiche und Dickin-Werk
Abrissarbeiten an der umgebauten Werkhalle des VEB Stahl- und Leichtbau, früher Elfenbeinbleiche und Dickin-Werk
Einstige Fabrikantenvilla  in den 1990er Jahren als Jugend-Club (Hier wohnte Hill 1945)
Einstige Fabrikantenvilla in den 1990er Jahren als Jugend-Club (Hier wohnte Hill 1945)

Wilhelm Hill wollte die Dickinwerke Anfang 1948 käuflich erwerben, worauf hin man ihm sofort die Leitung entzog. Er verstarb dann an einer verschleppten Tbc, einige Tage vor Weihnachten des selben Jahres.
Direkt neben diesem Fabrikgelände, in der Salierstraße, lag ein verwildertes und als solches nicht genutztes Sportfeld, welches von Bruno und Charlotte Knig* nach Ende des Krieges urbar gemacht und zu einer später recht ertragreichen Gärtnerei aufgebaut wurde. Ende der 1950er Jahre, mit Erreichen des Rentenalters, veräusserten sie das Anwesen und zogen in den Westen, zur Verwandtschaft.
2007 stehen weder die Fabrik - noch gibt es hier die Gärtnerei. Grau, mit Brettern zugenagelte Fenster und einsam wie ein Fremdkörper steht nur noch das kleine, jetzt erbärmlich wirkende Wohnhaus der Gärtnerei, wie ein Fremdkörper, in einem Neubaugebiet mit, mehr oder weniger, stereotypen neuen Einfamilienhäusern. Bald wird auch dieses letzte Relikt der Nachkriegszeit verschwunden sein und keiner der heutigen Bewohner weiß, das diese Hütte einst der Lebensmittelpunkt hoffnungsvoller und fleißiger Menschen war.
(* Die Knigs hatten vorher viele Jahre in der Rudower Straße gelebt, Charlotte Knig war eine Enkeltochter der Ur-Altglienicker Sippe Welsch.)
Wir wohnten damals nur kurze Zeit in der "ehemaligen Fabrikantenvilla" in der Cimbernstrasse* und zogen bald um in die Ewaldstrasse **, oberhalb des heutigen Seegrabens, in dem ich damals noch Fischlein und Kaulquappen gefangen habe und wo wir von den langsam fahrenden Güterzügen Kohlen klauten - unabhängig der sozialen Herkunft. Auch war ich als Steppke am Bau des Bahnhofs Altglienicke beteiligt (Freiwillige Aufbauhilfe ..). Dafür durften wir Kinder nach Fertigstellung der Linie dann ein paar Wochen lang umsonst im Diesel getriebenen Triebwagen mitfahren.
* Nach uns zog die Familie Gubela dort ein. Wie ich mich erinnere flüchteten diese, indem der damals etwa 18-20-jährige Horst? mit dem LKW die Grenzbefestigung durchbrach. War damals in der Westpresse 'ne große Sache.
** Unsere Nachbarn in der Ewaldstr. war die Familie R., die einige Zeit nach uns, über West-Berlin, nach München ging. Gemeinsam mit Winfried R. wurde ich auch eingeschult. Die Schulbaracke war damals an dem alten Wasserturm in der Schirnerstr.

Einstige Fabrikantenvilla - einstiger Eingang zur Elfenbleiche, später zum Dickin-Werk (2010)
Einstige Fabrikantenvilla - einstiger Eingang zur Elfenbleiche, später zum Dickin-Werk (2010)
Das Gärtnerhaus in der Salierstraße 2010
Das Gärtnerhaus in der Salierstraße 2010

Allgemeines:
Dort wo die Schützenbrüder? stehen, wuchsen zu meiner Kinderzeit Grüne Bohnen, weiter hoch sogar Spargel und daneben Gladiolen und zur Fabrik hin standen 2 Reihen Schattenmorellen.
Auch die gewaltige Dachkonstruktion gab es zu meiner Zeit nicht mehr.
Zufahrt Salierstraße: damals gab es noch keine befestige Durchfahrt. Diese hatte auch die Gärtnerei durchtrennt. Rechts "unser" altes Huschen. Die Birke stand damals auch nicht dort. Da waren Frühbeeete.
Zitat aus dem Buch "Ansichten von Altglienicke"
Auf der anderen Seite des Bohnsdorfer Weges hatte sich der Männerturnverein Spieß eine ungenutzte ebene Fläche als Turn- und Sportplatz zu eigen gemacht und anlässlich eines Sportfestes am 8. Juli 1922 einen Gedenkstein für seine im I. Weltkrieg gefallenen Turnkameraden gesetzt und eingeweiht. In unmittelbarer Nachbarschaft stand die Elfenbeinbleiche, ein Industriebau mit schrägem Glasdach.
Das Bleichen von Elfenbein für den Klavierbau erforderte warmes Sonnenlicht. Nach dem verlorenen Krieg und den verlorenen Kolonien verlor der imposante Bau seine Bedeutung. Bis 1945 hatte das Dickin-Werk dort Backaromen produziert.Als der Gärtner Rosenberg einen Teil des Sportplatz-Geländes erwarb, setzte man den Spieß-Gedenkstein um und stellte ihn neben der Pfarrkirche auf. Rosenberg baute Gewächshäuser, in denen er Blumen und Gemüse anbaute, die er in seinem Eckladen an der Grünauer Straße 1 verkaufte. Die Restfläche des Turnplatzes an der Salierstraße nutzte der Altglienicker Reiterverein, der nach 1933 von der SA übernommen wurde. Das Fabrikgebäude der Elfenbeinbleiche verlor seine markante Form, als der VEB Stahl & Leichtbau es zu DDR-Zeiten für seine Zwecke umbaute. Nach der Wende wurde der Bau abgerissen. Seit der Jahrtausendwende steht auf dem Turn-, Sport- und Gärtnereigelände eine neue Siedlung mit schönen Doppelhäusern.
(Ein herzlichen Dank an Herr Hill und Hans-Eberhard Ernst)